Heute habe ich seit langem mal wieder Katherina Ushachov als Gästin zu Besuch. Ende April kommt ihr neuestes Buch PRISM im Verlag ohneohren heraus und dazu durfte ich ihr ein paar Fragen stellen.
Swapnix: Liebe Katherina, bitte stell dich noch einmal kurz vor.
Katherina: Hi! Danke, dass ich noch einmal dabei sein darf, ich liebe deine Interviews! Ich bin freischaffend im Bereich Lektorat, Korrektorat, Sensitivity Reading tätig, habe neulich eine Weiterbildung rund ums Programmieren gemacht und „PRISM“ ist meine neunte eigenständige Veröffentlichung.
Ich lebe mit meinem Lebensgefährten und Kater Balthasar in Vorarlberg. Das ist im Westen Österreichs.
Und wenn ich mal nicht an Büchern schraube, bastle ich an digitaler Musik, spiele Videospiele, laufe mit dem Kater durch die Nachbarschaft oder liege müde vor dem Fernseher.
Swapnix: Wie bist du zum Schreiben gekommen? Und in welchen Genre sowie Altersgrenzen bewegst du dich?
Katherina: Schreiben ist der einfachste Weg, eine Geschichte immer auf die exakt gleiche Art zu erzählen, und zwar sogar dann, wenn ich nicht anwesend bin, um dieses Erzählen zu erledigen.
Ich war ein Kind, das den Alltag ziemlich öde und unmagisch fand. Wenn meine Eltern gefragt haben, was in der (Grund-)Schule los war, dann fand ich die Realität nicht sehr erzählenswert. Deutsch, Mathe, Sachkunde, Pausenhof. Wer will bitte sowas hören? Also erzählte ich von einer fiktiven Mitschülerin, deren Vater Fernfahrer war und sie mit dem Lastwagen zur Schule gefahren hat.
Als ich kleiner war, zeichnete ich „Teppich von Bayeux“-artig Erinnerungsstützen für meine Geschichten. Keine Comics mit Panels im klassischen Sinne, sondern eine fortlaufende Wurst von Erzählung, bei der eine Figur mehrfach vorkommt, weil die Geschichte schließlich weitergeht.
Als ich größer war, schrieb ich das dann auf. (Mit „größer“ meine ich, „neun“.)
Meine Eltern versprachen mir, dass ich einen richtigen Computer kriege, wenn ich die Bildungsempfehlung fürs Gymnasium kriege. Das war dann auch der Fall und 2001 kam ich an meinen ersten Computer, auf dem ein anderes Schreibprogramm drauf war als „Editor“.
Vorher hat mich oft davon abgehalten, meine Ideen aufzuschreiben, dass mir aus motorischen Gründen das Schreiben mit der Hand schwer fiel. Ich wurde schnell müde und notierte Grundideen auf Zwergenzettel (Recyclingpapier, liniert, mit aufgedruckten Gartenzwerge) aus der Grundschule, statt sie auszuformulieren. Damals glaubte ich, dass ich mir die schon merken würde. (Nein.)
Mit MS Word konnte ich plötzlich tippen – etwas, das ich nach ein bisschen Übung trotz eines chaotischen Systems schneller konnte als die Kinder, die entsprechende Kurse gemacht haben. Mit chaotisch meine ich, dass ich neunzig Prozent aller Texte mit drei bis vier Fingern tippe, von denen einer für die Lehrtaste zuständig ist und sonst nichts macht, und ohne zu gucken. Während ich dieses Interview beantworte, kann ich meine Hände nicht sehen, da meine Tastatur in einer Schreibtischschublade unterhalb der Tischplatte liegt, auf der sich die Maus befindet. Und seit ich tippen kann, gibt es kein Halten mehr.
(Ich weiß, dass viele Leute hier Geschichten darüber erzählen, wie sie schon immer Autor*in/Schriftsteller*in werden wollten. Aber den Wunsch hatte ich in der Form nie. Ich wollte lediglich die ganzen Geschichten rauslassen, die sonst wie geschüttelte Limo in der Flasche gegen den Deckel drücken und ihn irgendwann rausschießen.)
So gut wie alles, was dabei entstand, war in irgendeiner Form fantastisch. Es gibt exakt zwei Langformen ohne fantastische Elemente bei mir – den Patreon-Roman „R0mEO und Julz“, eine Adaption von „Romeo und Julia“ in der Jetzt-Zeit, und das Buch über das zwölfjährige fußballspielende Mädchen, das an einen gemeinen Lehrer gerät (und das ich mit elf angefangen habe und nie beenden konnte, da es einem PC-Crash zum Opfer fiel).
Seit ich vierzehn bin, schreibe ich Vampirromane, aber es wird dauern, bis die veröffentlicht werden. Mein erster fertiger Roman war die Urfassung von „2145 – die Verfolgten“, dystopische Science-Fiction. Das ist auch der Bereich, in dem sich PRISM bewegt.
Mit Altersgruppen tue ich mich etwas schwer, weil ich nicht abschätzen kann, welche Eigenschaften Literatur speziell für Jugendliche haben muss. Als ich Teenie war, wurde sehr viel Romantasy veröffentlicht, aber ich habe die nicht gern gelesen. (Die Gründe dafür würden hier zu weit führen.) Ab und zu schreibe ich Jugendbücher, wie ich sie gebraucht hätte, aber die es früher nicht gab. „Der tote Prinz“ ist eher ein Jugendbuch, „R0mEO und Julz“ auch, 14+?
Aber überwiegend schreibe ich für Erwachsene.
Swapnix: Worum wird es in deinem neuen Buch PRISM gehen?
Katherina: Eine Software soll es ermöglichen, die Erinnerungen von Toten hochzuladen, und somit posthum eine Aussage zu ermöglichen – um Mordfälle aufzuklären. Das klingt auf den ersten Blick nach einer guten Sache, die helfen soll, die Welt sicherer zu machen. Zumindest glaubt Penelope Esterhazi das. Und weil der Konzern hinter der Software besser zahlt, als die Universität, und Penelope schwanger ist und ein Kind mitzuversorgen hat, lässt sie sich dort anstellen.
Dass das Pärchen, in das sie sich verliebt hat, auch dort arbeitet, ist die Kirsche auf der Torte. Doch nicht alles, was nach einer guten Idee klingt, ist tatsächlich eine.
Zwischen dem ganzen Dystopieaspekt rund um die Erinnerung der Toten, Verbrechensbekämpfung und akademischen Nöten gibt es aber auch ganz herzerwärmende, liebevolle Momente im Leben eines Trärchens, die Tücken eines Kindergeburtstags und den chaotischen Familienalltag.
Swapnix: Was ist für dich das Besondere an dem Buch?
Katherina: Es ist komplett farbkodiert. Jedes Makrokapitel ist einer Regenbogenfarbe als übergeordnetem Kapitelthema zugeordnet. Innerhalb dieser Makrokapitel gibt es Unterkapitel, die nach verschiedenen Farbtönen benannt werden, die auch im Buch vorkommen. Von allem, was ich bisher geschrieben und veröffentlicht habe, ist dieses Buch formell am strengsten durchkomponiert.
Swapnix: Was würdest du sagen, sind die zentralen Themen des Buches und warum hast du gerade die ausgewählt?
Katherina: Als ich die Idee hatte, war gerade #IchBinHanna in aller Munde. Weil das etwas her ist und außerhalb von Twitter nicht so viel Reichweite bekam, eine kurze Erklärung dazu, die ich von Wikipedia zitiere:
> Der Hashtag #IchBinHanna wurde im Juni 2021 auf Twitter ins Leben gerufen, um gegen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) zu protestieren. Kritisiert wird insbesondere, dass nicht genügend unbefristete Stellen zur Verfügung stünden, während befristete Verträge, die durch das WissZeitVG geregelt sind, nur für eine bestimmte Höchstdauer vergeben werden können. Somit würden Forschende, nach einer Serie von befristeten Verträgen mit einer insgesamt begrenzten Laufzeit (in der Regel sechs Jahre vor, sechs Jahre nach der Promotion), keine weitere Anstellung mehr finden und aus der Forschung gedrängt.
Auslöser der Protestkampagne war ein Imagevideo des Bundesministerium für Bildung und Forschung, in dem eine fiktionale Person namens Hanna die Vorteile der geltenden Regelung erklären sollte. In dem Video wurde behauptet, durch die hohe Fluktuation in Folge des Gesetzes würde die Innovationskraft gestärkt. Die Kritisierenden halten dies für eine Fehldarstellung und sehen die Regelungen des WissZeitVG stattdessen als schädlich für Wissenschaft und Gesellschaft an. Durch die Regelung werde hoher Druck auf Forschende aufgebaut, die während der Zeit der Befristung im Unklaren darüber sind, ob sie letztendlich eine Karriere in der universitären Forschung bestreiten können oder nicht. Viele Forschende müssten am Ende der maximalen Befristungsdauer ihre Projekte aufgeben, die Forschung verlassen und „bei null anfangen“, oder würden selbst prekäre Arbeitsbedingungen akzeptieren. Innovation würde dadurch behindert, nicht gefördert.
Protagonistin Penelope Esterhazi ist davon betroffen – sie unterrichtet an einer nicht benannten deutschen Universität Informatik, kann sich aber nur eine kleine Dozierendenwohnung auf dem Campus leisten, die nicht viel besser ist als die Wohnheimzimmer der Studierenden. Zu Beginn der Handlung ist sie schwanger und bereitet sich auf ein Leben als selbstgewählt alleinerziehende Mutter vor.
Dass sie ständig Angst haben muss, dass ihre befristete Stelle bei PRISM nicht verlängert wird und sie plötzlich ohne Anstellung dasteht, zieht sich durch einen großen Teil des Buches – und die Art und Weise, wie die Verlängerungen zustande kommen, machen sie zunehmend misstrauisch.
Daneben habe ich recht viele ethische Fragen eingebaut. Ob an der Erinnerung von Toten auf diese Art herumexperimentiert werden darf. Wer die Daten in die Hände bekommt und was damit gemacht wird. Queerfeindlichkeit im Alltag spielt ebenfalls eine Rolle. Immerhin trifft Penelope in ihrer ersten Romanszene ein queeres Pärchen, eine der Personen ist trans. Alle drei sind migrantisch und haben unterschiedliche Erfahrungen mit Rassismus in Deutschland gemacht.
Es gibt sehr viele kleine Themen, die immer wieder angeschnitten werden.
Warum gerade die … Ich wähle das nicht bewusst aus. Manchmal vergleiche ich, wie ich an die Themen in meinen Manuskripten rankomme, mit einem kleinen Metallgitter in einem Fluss. Der Fluss fließt hindurch, und dabei bleibt irgendetwas von dem, was mich gerade beschäftigt, am Gitter hängen. Es kam also hinein, was mich beim Schreiben gerade umtrieb.
Swapnix: Gibt es eine Botschaft, welche du mit deiner Geschichte transportieren möchtest oder soll sie schlicht gut unterhalten?
Katherina: Das ist eine sehr gute Frage. Also sie soll auf alle Fälle auch unterhalten und dazu einladen, die ganzen Eastereggs zu finden (ich habe Anspielungen sowohl auf sehr bekannte, als auch auf eher nischige Videospiele versteckt, und außerdem überwiegend auf ältere – da bin ich sehr gespannt, wer die alle findet und freue mich einfach diebisch darauf, das mitzukriegen). Aber ich habe auch einiges an Sozialkritik reingepackt und an Wunschdenken in Bezug darauf, wie Menschen miteinander umgehen könnten (oder wie eher nicht). Einiges an Sehnsucht und Wunschvorstellungen. Viele Ängste.
Dieses Buch könnte als Begründung herhalten, warum ich nach dem Master nicht den nächsten Schritt auf der akademischen Leiter erklimmen möchte, also als private Botschaft. Genauso als Anklage gegen die Missstände an sich.
Außer bei „2145“ und „Zarin Saltan“ habe ich mich aber selten hingesetzt und zuerst die Botschaft überlegt, ehe ich angefangen habe zu schreiben. Und letzten Endes – ich habe meinen Bachelor in narrativistischer Philosophie gemacht und daraus vor allem mitgenommen, dass alle Lesenden sich ohnehin etwas zu ihrem Leben passendes aus meinem Buch ziehen werden. Ganz egal, ob und was ich beabsichtigt habe. Der Text entsteht erst wahrhaftig, wenn er gelesen wird. (Aber ich bin ziemlich neugierig darauf, was dabei jeweils herauskommt!)
Swapnix: Liebe Katherina, ich danke dir sehr für das spannende Interview und wünsche dir und deinem Buch viele begeisterte Lesende!
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